Freitag, 30. Mai 2008
(Mutter(s)) Courage
Ein Arbeitstag ging vorbei. Der übliche Weg durch S-Bahn, Vorortszug und Bus begann und nahm ereignislos seinen Lauf. Lärm durch laut telefonierende Sitznachbarn, kreischende Teenies, die sich wortreich über ihren neuen Freund oder wahlweise über ihre neuen Klamotten auslassen, quengelnde Babys und auf den Sitzen hüpfende Kinder kann ich inzwischen schon hervorragend durch mein Handy inclusive Ohrstöpsel mit laut gedrehter Musik ausschalten. So wird die zwangsjackenenge Heimfahrt zumindest nicht zur vollkommenen Zerreißprobe für meine gebeutelten Nerven, die allzu große Nähe zu fremden Personen nicht ertragen. Noch den aktuellen Spiegel, den Laptop oder ein Buch auf den Knien, und die eineinhalb Stunden Heimfahrt von der Arbeit werden nahezu erträglich. Man versinkt in seine eigene kleine Welt und irgendwann erreicht man die Endhaltestelle, hoffnungsvollerweise ohne durch schwitzende Leute oder stinkende Penner der Ohnmacht nahe gewesen zu sein.
Aber das gelingt nicht immer. Vor allem nicht, wenn plötzlich ins Sichtfeld der okkupierten Vierersitzgruppe ganz hinten im Bus zwei ineinander verkeilte Kerle geraten, die, während sie sich mit geballten Fäusten gegenseitig verdreschen, auf den Boden knallen und dort weitermachen, als hätten sie den Schmerz nicht gespürt. Dann gewinnt die ganze Szenerie an Fahrt: Die Kumpels der beiden Kerle versuchen, diese zu trennen, es wird ein kämpfendes Knäul an Menschen daraus, die in zwei unterschiedliche Richtungen drängen, während die beiden ursprünglichen Kämpfer noch immer erbittert die Fäuse fliegen lassen (beide hatten, wie man im Boxsport so schön sagt, recht gute Nehmerqualitäten). Ein recht stämmiger Typ mit türkisch-arabisch anmutendem Äußeren kommt nach hinten und greift wie ich in das Knäul ein, zum ersten Mal scheint sich ein Erfolg im Versuch abzuzeichnen, die wie siamesische Zwillinge in Faustschlägen verwachsenen Kämpfer zu trennen. Ich höre mich energisch rufen, dass sie Ruhe geben sollen, oder ich rufe die Bullen (was ihren Gesichtsausdrücken nach im Augenblick von ihnen nicht wahrgenommen wird, sehr wohl aber von ihren jeweiligen Kumpels, die ihre Anstrengungen verdreifachen).

Dann gelingt es, als ein zweiter couragierter und breit gebauter Mitbürger ebenso mit eingreift, aus einem wieder zwei zu machen - eine türkische Mutti im besten Alter, im rosa Kostümchen und mit farblich darauf abgestimmtem Kopftuch, ist ebenso nach hinten gekommen und gibt den beiden Jungs, die mühsam voneinander fern gehalten werden, den Einlauf ihres Lebens. Ein Teil davon erfolgte in türkisch, in sofern habe ich nicht viel davon verstanden, aber der deutsche Teil der Ansprache handelt davon, dass sie sich beide schämen sollen, ihre Eltern ganz sicher nicht wollen, dass ihre Sprösslinge sich aufführen wie unerzogene Gossenkinder und sie doch lieber beten gehen sollen anstatt sich zu kloppen. Der türkische Kontrahent wirkt kurz darauf ausgesprochen bedröppelt, der deutsche kühlt ebenso merklich ab - und als der Busfahrer ebenso nach hinten kommt, wirft er kurzerhand den Kerl samt Kumpels raus, der höchstwahrscheinlich angefangen hat (den Deutschen).

Ich wage nicht zu behaupten, welchen von beiden es jetzt mieser getroffen hat - den, der auf den nächsten Bus warten muss oder den, der im Bus noch sitzt und sich zehn Haltestellen lang die Schimpftirade der Mama anhören muss - aber gewirkt hat es in jedem Fall. Selten habe ich zwei übermütige Halbwüchsige so schnell ruhig werden sehen - und seit diesem Zwischenfall habe ich auch wieder neuen Respekt vor den türkisch- (oder arabisch?)stämmigen Mitbürgern gewonnen, die mir ansonsten zumeist als marodierende Rudel Jungerwachsener in der Innenstadt vor Augen kommen und sich dabei größte Mühe geben, einem so übel wie möglich im Gedächtnis zu bleiben, sei es durch das Anpöbeln und Verarschen aller Passanten, das Klauen in den Läden oder ähnliche Scherze. Von den deutschen (im Sinne von 'deutsch aussehend, das typisch mitteleuropäisch-blasse Durchschnittsgesicht) Mitfahrern im Bus hat sich übrigens keiner bequemt, irgend etwas zu machen - wer tätig und couragiert vorgegangen ist, waren jene mit türkisch-arabischem Äußeren. Respekt, Leute!

Fazit des Zwischenfalls:
eine zerstörte Deckenlampe im Bus
zwei ziemlich verdroschene Jungs
eine ziemlich energische türkische Mama
... und ein paar interessante neue Gedanken.

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Zweimal hab ich in meinem Leben was auf´s Maul bekommen, hab aber niemals zurückgeschlagen. Weniger aus Feigheit, sondern mehr aus der Befürchtung heraus, anderen wirklich weh zu tun.
Ich kann auf der einen Seite nachvollziehen, dass Du Dich über den Mangel an Zivilcourage ärgerst, muss mich aber auf der anderen Seite Fragen, ob ich in so einen Streit eingegriffen hätte. Je nach Situation denk ich mir dann: "Wenn die sich gegenseitig die Sch****e aus dem Leib prügeln wollen... Lass Sie doch!". Zum anderen wägt man ab, ob man durch Schlichtungsversuche nicht nur zu einem kurzen Friedensintermezzo wird, in dem sich die beiden Streithähne kurz zum Gegenschlag verbrüdern, um sich danach munter weiter zu maltretieren.
Ein Eingriff in eine Kampfhandlung ist besonders vom Motiv für den Streit abhängig. Z.B. dürfen sich zwei besoffene Aggros gerne gegeseitig totschlagen - zwei Idioten weniger... Gibt natürlich auch Gegenbeispiele.. aber... Ach - keine Ahnung!
Vielleicht bin ich doch ein Feigling...

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War vor einigen Jahren selbst mal in einer Prügelei in einem Bus verwickelt. Ein halbes Dutzend Russen (oder Polen) gegen mich alleine. Und niemand ihn Bus ist ausgestanden um mir da raus zu helfen. Bin froh das meine Person an dem Abend nicht das Augenlicht auf dem Linken Auge verloren hatte (einer von denen versuchte das mir mit seinem Daumen auszudrücken) und konnte auch meinen Rucksack mit nachhause nehmen (nachdem ein kurzer Abstecher ins Krankenhaus für mich drin war). Die Anzeige bei der Polizei, die kam als alles bereits vorbei war, hatte nie zu etwas geführt.

Dennoch würde meine Wenigkeit sich in Streitigkeiten anderer einmischen, um diese auseinander zu bringen.

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Gut... Wenn ich Zeuge einer Kampfhandlung werden würde, die mein Unrechtsbewußtsein berührt, bin ich auch am Start.
Ich musste mal beobachten, wie mein Bruder von einer Meute mit Migrationshintergrund bedrängt wurde und hab ohne zu zögern eingegriffen. Mein Bruder lag am Boden und der Angreifer über ihm. Ich hab ihn weggeschubst, dass er 2 Meter weit flog...
Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, wo alkohol-induzierte Streitigkeiten am Wochenende Usus waren. Das hat man einfach so akzeptiert. Grundlose Gewalt gegen Minderheiten oder Unbeteiligte habe ich noch nie erlebt.
Ich finde es einfach nur schwer, sich in solche Situationen reinzuversetzen. Selbst, wenn ich nicht aktiv eingreifen würde, so würde ich zumindest die Polizei verständigen.

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Hmm, es hat denke ich nichts mit Feigheit zu tun, ob man sich überlegt, ob man eingreift oder nicht. Bei dieser Situation war es für mich jedenfalls klar, die beiden waren nicht besoffen, es waren Kinder und Frauen im Bus - dh. wären sie nicht getrennt worden, hätte es auch zwischen den Kumpels der Kerle zu ner Keilerei kommen können und das wäre dann sicher nicht mehr gut ausgegangen. Keine Frage also, dass man da was macht - dank LARP habe ich jedenfalls keine Berührungsängste mehr und auch nicht mehr unbedingt vor Schmerzen. Wären die zwei besoffen gewesen ... hätt ich es mir sicher nochmal überlegt, denn Betrunkene sind immer so 'ne Sache, meist schmerzunempfindlich und einer gewissen Logik nicht mehr zugänglich.

Finde ich übrigens gut, Drudenfusz, dass Du trotz schlechter Erfahrungen immernoch eingreifen würdest - und dass Du, nasenfahrrad, es gemacht hast. Letztenlich fand ich es einfach bezeichnend bei dieser Angelegenheit im Bus, dass die 'Deutschen' weggeschaut haben und die einzigen, die aktive Deeskalation betrieben haben, die 'Türken' waren (man verzeihe mir die Verallgemeinerung wegen des Aussehens).

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Mein Wochende
Mußte zweimal am Wochenende an diesen Blogeintrag denken.

Sonnabend: Nachmittag auf dem Weg zur Geburtstagsparty eines Kumpels, saß ein Mädel in der S-Bahn, welche recht gestresst schin, besonders immer wenn sich irgendwer in ihre Nähe gesetzt hat. Irgendwie schien sie sich nicht zu gelingen sich mit ihre Musik in ihre eigene Welt zurückzuziehen. Mußte da unweigerlich an dich denken.

Sonntag: Morgens auf dem Weg nach Hause, steht ein Skinhead (also Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel) am Rathaus Spandau, und nicht wenige junger Erwachsener mit Migrationshintergrund regen sich darüber auf das der "Nazi" im falsche Bezirk sei. Habe einen der eher lautstarken ins Gespräch mit mir verwickelt, und ihm erklärt das nicht alle Skins auch Nazis sind. Daraufhin wurde er neugierig und ging zu Skin um mal nachzufragen, was es mit seiner Gewandung auf sich hat. Wie sich herausstellte hatte meine Wenigkeit recht, der Skin war kein Nazi und die Aggression in der Luft verpuffte ziemlich schnell.

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*lacht* Nunja, zumindest scheine ich nicht der einzige Mensch zu sein, der es nicht mag, wenn die S-Bahn zu voll wird. Gestresst bin ich von Mitreisenden grundsätzlich aber nicht in dieser Weise - erst dann, wenn sie mir olfaktorisch auf die Pelle rücken. Wir sind immerhin eine Kultur, die von sich selbst behauptet, modern zu sein, also warum benutzen nicht alle Leute ein funktionierendes Deo .. ^^

Dein Eingreifen bei dem vermeintlichen Nazi finde ich gut - ich denke mal, das hat den streitlustigen Jungs mit Migrationshintergrund auch bewiesen, dass es nicht aufs Aussehen alleine ankommt und der vermutete Feind gar keiner sein muss. Ein Schritt auf einem langen Weg ...

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